Die News-Plattform für interessierte Frauen mit wenig Zeit.
Hier findest du das News-Crew Abo!
Raus aus dem Hormonkarussell: Vorbereitung auf die Wechseljahre ab Mitte 30
Foto: Dr. Judith Bildau

Raus aus dem Hormonkarussell: Ein Interview mit Dr. Judith Bildau

Obwohl die Wechseljahre uns alle betreffen, sind sie bis heute in vielen Bereichen noch wenig erforscht, und dennoch sollten und können wir uns auf sie vorbereiten. Ich freue mich so, dass ich ein Gespräch zu diesem wichtigen Thema mit einer so lieben Expertin und Medical Influencerin für Euch führen durfte.

Bei Frauen Mitte 30 geht es langsam los: Die Hormone verändern sich. Wie bezeichnest du als Medizinerin diese Phase? Woran merke ich das als Frau? Wie fühlt sich das an?

Ja, es ist tatsächlich so. Die ersten hormonellen Veränderungen beginnen nicht erst in den Wechseljahren, sondern deutlich früher, nämlich ab Mitte, Ende 30. Für diese Lebensphase gibt es bislang keinen medizinisch korrekten Begriff. Meist wird sie „Prämenopause“ genannt, was jedoch nicht so ganz korrekt ist. Denn die Prämenopause bezeichnet im Grunde die gesamte fertile Zeit im Leben einer Frau – von der Pubertät bis zu den Wechseljahren.

Ich nenne diese Phase „in between“, dazwischen, aber mittendrin. Diese Zeit ist vor allem durch den Progesteronabfall gekennzeichnet. Da Frauen in diesem Alter immer häufiger sogenannte „anovulatorische“ Zyklen haben, also Zyklen, in denen kein Eisprung stattfindet, sinkt der Progesteronspiegel. Dadurch entsteht eine relative Östrogendominanz. Und diese kann eine Vielzahl von sehr unangenehmen Symptomen verursachen. Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen, ein verstärktes PMS, Gewichtszunahme, Schilddrüsenprobleme und plötzliche Intoleranzen sind nur einige Beschwerden, die die Frauen nun haben.

Und ab wann beginnen dann die „Wechseljahre“, von denen wir alle schon mal gehört haben?

Die Wechseljahre, auch Perimenopause oder Klimakterium genannt, beginnen rein statistisch mit etwa 45 Jahren. Das ist allerdings sehr individuell und unterliegt vielen verschiedenen Faktoren. Mit etwa 51 Jahren kommt es dann zur Menopause, der letzten Menstruationsblutung. 12 Monate danach beginnt die sogenannte Postmenopause.

Ich habe im Gefühl, dass erst in den vergangenen Jahren endlich vermehrt über Themen wie „Prämenopause“ oder  „Wechseljahre“ gesprochen wird. Woran liegt das?

Ich denke, es liegt daran, dass es immer mehr „Rolemodels“ in dieser Lebensphase gibt, die sich auch trauen, laut zu werden. Viel zu lange haben sich Frauen versteckt, sich für ihr Älterwerden geschämt und erst recht für den Leidensdruck, den die Wechseljahre verursachen können. Die Perimenopause galt als unsexy und wurde geradezu mit körperlichem Verfall gleichgesetzt.

Jetzt sehen wir diese Wahnsinnsfrauen, die sagen: „Seht her, wir sind in den Wechseljahren!“. Sie stehen mitten im Leben, sind energiegeladen und widersprechen allen Klischees, die wir bislang im Kopf hatten. Sie sprechen offen über diese Lebensphase, über mögliche Beschwerden, aber auch über Therapien und ermutigen Frauen, für sich und ihren Körper einzustehen. Das ist großartig!

Durch die Generation meiner Mutter habe ich immer das Bild im Kopf: „Wechseljahre bedeuten Hitzewallungen“. Erst durch die wertvolle Aufklärungsarbeit von Ärztinnen wie dir habe ich erfahren, dass Wechseljahre so viel mehr sind. Was für Begleiterscheinungen gibt es denn?

Die Symptompalette der Wechseljahre ist bunt. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass es über 100 verschiedene Symptome sind. Lange Zeit wurde fälschlicherweise angenommen, dass Wechseljahre „nur“ Hitzewallungen und ein unregelmäßiger Zyklus sind – aber das ist weit gefehlt. Und leider auch oft der Grund dafür, dass viele Frauen einen wahren Arztmarathon hinter sich haben; ihre Beschwerden werden einfach nicht mit der Perimenopause in Verbindung gebracht. Die Wechseljahre können neben vasomotorischen Symptomen wie Hitzewallungen und nächtlichem Schwitzen auch Schlafstörungen, Knochen- und Gelenkschmerzen, Konzentrationsstörungen („brain fog“), Energielosigkeit, Depressionen, Libidoverlust, Tinnitus usw. verursachen. Sie führen sogar gar nicht so selten zur Arbeitsunfähigkeit.

Was rätst du Frauen, die diese Anzeichen haben und darunter leiden?
Ich empfehle unbedingt das Aufsuchen einer Expertin oder eines Experten. Keine Frau muss leiden! Es gibt sehr viel, was Frauen tun können, damit die Wechseljahre nicht belastend, sondern spannend und aufregend sind!

Für mich waren Wechseljahre auch immer sehr negativ konnotiert. Du siehst diese Zeit anders. Was sind denn die positiven Seiten dieser Veränderung?
Frauen, die in den Wechseljahren voll in ihrer Kraft stehen, wollen mitnichten wieder „jung“ sein. Sie haben Lebenserfahrung, wissen, was sie wollen und was nicht und haben ein starkes Selbstbewusstsein. Sie blicken sehr wohlwollend auf ein paar Fältchen und genießen viel mehr die innere Freiheit, die sie jetzt spüren. Sie möchten nicht mehr jedem gefallen. 

Dr. Judith Bildau · Foto: Sabina Radtke
Dr. Judith Bildau · Foto: Sabina Radtke

Außerdem galt diese Zeit für mich auch als ein bisweilen anstrengender Zustand, den man einfach hinnehmen müsse. Würdest du dem widersprechen?

Dem widerspreche ich absolut! Aber ich verstehe natürlich sehr gut, dass es für dich lange Zeit so wirkte. Ich glaube, dass ging den meisten Frauen so, weil es das Bild von Frauen in der Perimenopause war, das vorherrschte, das auch medial präsentiert wurde. 

Bei einem Vortrag zum Thema Wechseljahre hatte ich einen augenöffnenden Moment: Die anwesende Frauenärztin erzählte, dass durch eine einfache Hormontherapie den meisten Frauen unkompliziert geholfen werden kann – und die meisten Begleiterscheinungen verschwinden.
Kannst du uns genauer erklären, was sie damit meint? Und warum ist dieses Wissen und diese Behandlung in Deutschland noch so wenig verbreitet?

Das Thema „Wechseljahre“ wurde bislang weder in der medizinischen Ausbildung an der Universität noch in der Ausbildung zum Gynäkologen oder der Gynäkologin gelehrt. Es war einfach nicht präsent. Deswegen besteht auch heute bei vielen Ärzten und Ärztinnen eine eklatante Wissenslücke. Tatsächlich ist es so, dass es studienbasierte Maßnahmen gibt, die die Beschwerden verschwinden lassen. Eine der effektivsten ist die Hormonersatztherapie (HRT), die heutzutage meist mit bioidentischen Hormonen durchgeführt wird.

Stichwort: „Einnahme von Hormonen“ – warum schrecken so viele davor zurück? Warum ist auch das so negativ besetzt?

Der Grund dafür ist eine große Studie, DIE WHI-Studie, aus dem Jahr 2002. Sie brachte eine vermeintlich erschreckende Erkenntnis zu Tage: Frauen, die eine Hormonersatztherapie erhielten, bekamen häufiger Brustkrebs und litten auch vermehrt unter kardiovaskulären Ereignissen, wie Schlaganfällen. Jahre später entschuldigten sich sogar die Autoren der Studie selbst, dass nicht nur die Auswahl des Studienkollektivs, sondern auch die Auswertung der Daten nicht korrekt war. Aber leider konnte das dadurch entstandene Bild kaum revidiert werden.

Du setzt dich mit all deinem Tun dafür ein, dass die Themen Wechseljahre, Hormone bei Frauen und der weiblichen Zyklus endlich präsenter werden. Was würdest du dir mit Blick auf diese Themen wünschen?

Ich wünsche mir sehr, dass hormonelle Umstellungsphasen, aber auch hormonelle Erkrankungen, nicht weiter gesellschaftlich belächelt, sondern als das anerkannt werden, was sie sind: Eine große Herausforderung für die betroffenen Frauen!

Es ist wichtig, dass nicht nur die Ausbildung der Ärzte und Ärztinnen dahingehend verbessert wird, sondern auch die Abrechnungsmöglichkeiten und (am wichtigsten!) die Unterstützung der Frauen. Auch die Forschung muss dringend intensiviert werden.

Dr. Judith Bildau: Raus aus dem Hormonkarussell
Dr. Judith Bildau: Raus aus dem Hormonkarussell

Das Buch Raus aus dem Hormonkarussell · Hormon-Hacks für Frauen ab 35 von Dr. Judith Bildau ist im Graefe und Unzer Verlag erschienen und in jeder Buchhandlung erhältlich. Hier kannst du es als Taschenbuch, E-Book oder Hörbuch bestellen ↗️

Zum Instagram-Kanal von Dr. Judith Bildau ↗️

Entdecke die weiteren Beiträge in Friday Feelings #005